Vespa Roller
Wer sich einmal auf einen Vespa Roller – also einen klassischen Motorroller mit Blechkarosserie und Handschaltung – gesetzt hat, wird es wohl nie wieder vergessen. Anders lässt es sich nicht erklären, dass die alten Roller aus Pontedera in Italien gefühlt eine immer größer werdende Fangemeinde haben. Hat es mit dem italienischen Lebensgefühl zu tun oder damit sich ein Stück Jugend zurückzuholen, in der das Leben leichter war? Ich weiß es nicht, aber ich kann sehr gut nachvollziehen, wie man eine große Leidenschaft für die Zweitakter aus vergangenen Tagen entwickeln kann.
Die erste Vespa verließ 1946 die Werkshallen von Piaggio in der Toskana. Bis heute ist die Faszination ungebrochen und der Name Vespa steht nach wie vor als Synonym für den italienischen Motorroller. Auch oder gerade weil Piaggio es mit den modernen Vespas, wie z.B. der GTS, geschafft hat seine Roller und das damit verbundene Lebensgefühl in die Gegenwart zu transportieren. Hier widmen wir uns aber ausschließlich den klassischen Modellen, die man heutzutage getrost als Oldies bezeichnen kann.
Die Geschichte des Vespa Rollers
Die Geschichte von Piaggio, dem Hersteller des Vespa Rollers, beginnt 1884. Das Familienunternehmen war zuerst im Schiffsbau tätig und darauf im Bau von Eisenbahnwagen. Als die Luftfahrt aufkam, konzentrierte man sich ab 1916 auf den Flugzeugbau. Hierfür wurde das Werk in Pontedera in der italienischen Toskana gebaut. Ende der 1930er Jahre gehörte die italienische Armee zu den Kunden von Piaggio. Das Flugzeugwerk in Pontedera wurde während des Zweiten Weltkriegs zerstört. Die Siegermächte beschlossen nach Ende des Krieges, dass Piaggio sich aus der Rüstungsindustrie zurückziehen musste. Mittlerweile war Enrico Piaggio, Sohn des Firmengründers Rinaldo Piaggio, der Kopf des Unternehmens. Er hatte ein gutes Gespür und sah einen großen Bedarf an kostengünstigen Transportmitteln. Die Vespa-Vorgänger MP5 und Mp6 (Moto Piaggio 5 / 6), aufgrund des Aussehens Paperino genannt, wurden vom Ingenieur Renzo Spolti entwickelt und wurden 1944 mit einer Stückzahl von 100 gebaut. Die Paperinos erinnern in ihrer Form mehr an Motorräder, da sie noch nicht den charakteristischen Durchstieg der späteren Vespamodelle hatten.
Es war dann der Ingenieur Corradino D´Ascanio, der den Auftrag bekam, die Vespa zu entwickeln. D´Ascanio mochte keine Motorräder und sein Traum war es Hubschrauber zu bauen. In seinem Entwurf für den Vesparoller ging er von einem sitzenden Menschen aus, um dessen Körper herum er den Motorroller konstruierte. Im April 1946 war es soweit und die erste Vespa wurde zum Patent angemeldet. Die Vespa 98 (V98) mit 98ccm, einem Dreigang-Getriebe, 8″ Rädern, einer Leistung von 3,2 PS und einer Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h kam auf den Markt.
Die älteste noch existierende Vespa
Im Jahr 2017 bot das Onlineauktionshaus Catawiki die älteste noch existierende Vespa der Welt an. Es handelte sich um eine Vespa 98 von 1946 mit der Fahrgestellnummer 1003. Von der Vorserie (Serie 0) wurden nur 60 Exemplare hergestellt. Die beiden ersten Modelle mit den Fahrgestellnummern 1001 und 1002 existieren heute nicht mehr. Der Experte Davide Marelli schätzte den Auktionswert der ältesten Vespa auf € 250.000,- bis € 325.000,-, was sie sicherlich auch zur teuersten Vespa gemacht hat. Zum tatsächlichen Verkaufspreis sind keine Infos bekannt.
Innovation der Vespa Roller
Der Vespa Ingenieur Corradino D´Ascanio hatte nie zuvor Motorräder konstruiert und ging völlig unvoreingenommen an diese Aufgabe. Der Motorroller sollte leicht fahrbar sein und seine Fahrer und Fahrerinnen vor durch die Fahrt aufwirbelnden Dreck schützen. Da die Straßenverhältnisse im Italien der Nachkriegszeit sehr schlecht waren, sollte ein Radwechsel leicht von der Hand gehen. Auch der Antrieb sollte einfach sein und die Kleidung nicht verschmutzen. So entschied er sich für eine Triebsatzschwinge ohne Kette und einen verdeckten Motor. Das einfache Fahrwerk mit Kurzschwinge vorne und Triebsatzschwinge hinten wurde bis in die heutige Zeit beibehalten. Der Federungskomfort ist konstruktionsbedingt eingeschränkt. Wie wir heute wissen, tat dies dem Erfolg des Vespa Rollers keinen Abbruch.
Die ersten Vespas hatten den Scheinwerfer unten auf dem Kotflügel. Die Bezeichnung lautete Faro Basso, was Lampe unten bedeutet. Im Jahr 1953 folgte die Vespa 125, mit dem Scheinwerfer oben am Lenker (Struzzo), die über 5 PS Leistung verfügte und bis zu 75 km/h schnell war. Bis 1965 wurden insgesamt 3 Millionen Vespas verkauft und der weltweite Siegeszug der Motorroller ließ sich nicht mehr aufhalten.
Woher kommt der Name Vespa?
Der Legende nach stammt der Name Vespa, der Wespe auf italienisch bedeutet, von Enrico Piaggio. Beim Anblick des von D´Ascanio entworfenen Prototyps sagte er: “Er sieht aus wie eine Wespe”. Das soll auf das Motorengeräusch und die Form der Karosserie zurückzuführen sein, die von oben gesehen an ein Insekt mit schmaler Taille erinnert. Es bleibt ungewiss, ob diese Version der Geschichte der Wahrheit entspricht. Die Legende hält sich aber hartnäckig und es klingt irgendwie plausibel.
Vespa made in Germany – Lizenzbauten
Der große Erfolg der italienischen Vespa führte dazu, dass es Lizenzbauten im Ausland gab. Die “Vespa made in Germany” wurde von 1950 bis 1954 von den Hoffmann Werken in Lintorf (zwischen Düsseldorf und Duisburg) produziert. So stammt zum Beispiel die legendäre “Königin”, eine Vespa 125, aus diesem Werk und gehört heute unter Sammlern zu den begehrtesten Modellen. Mitte der 1950er Jahre waren die Verkaufszahlen für Motorroller von Hoffmann rückläufig, was daran lag, das die Konkurrenz stärker motorisierte Roller anbot. Hoffmann beschloss eigenmächtig, ohne den Segen von Piaggio, die Motorleistung anzuheben und einen eigenen Motor zu entwickeln. Dies führte zur Kündigung des Lizenzvertrags durch Vespa im September 1954. Das Modell HC, die Hoffmann Königin, wurde nur ca. 1.750 mal gebaut, bis 1955 Schluss war.
Von 1955 bis 1957 produzierte die Messerschmitt GmbH in Augsburg deutsche Vespa Roller. Dazu zählen die Vespa 150 GS/1 und GS/2, die Vespa 150 Touren T/1, T/2 und T/3. Im Anschluss gründete Piaggio in Deutschland sein eigenes Tochterunternehmen, die Vespa GmbH. Der Firmenstandort blieb in Augsburg und von 1958 bis 1963 wurden unter anderem die Vespa GS/3, die 150 Touren T/4 und die Vespa 160 GS/4 in Deutschland produziert.
Vespa PX Lusso – gebaut von 1983 bis 1997
Die Vespa geht um die Welt
Nicht nur in Deutschland wurden Vespas in Lizenz gebaut. In Frankreich übernahm die Fertigung von 1950 bis 1960 die Firma Ateliers de Construction de Motocycles et Accessoires (kurz: A.C.M.A.). Douglas Vespa war in Bristol / England der Lizenznehmer. In Spanien produzierte die Firma Motovespa S.A. in Madrid von 1952 bis 2003. Weitere Lizenznehmer waren unter anderem M.I.S.A. in Belgien, Bajaj und LML in Indien. In den USA produzierte die Sears, Roebuck & Co. in Chicago die Allstate Vespa von 1952 bis 1967.
Vespa war also nicht nur ein italienisches Phänomen, mit Ablegern in Deutschland. Der italienische Vespa Roller verbreitete sich um den gesamten Erdball und hat noch heute Liebhaber und Liebhaberinnen in allen Ländern der Welt. Dies wird jedes Jahr in einem anderen Land mit den “Vespa World Days” gefeiert. 2024 finden Sie im italienischen Pontedera, dem Heimatort der Vespa, statt.
Warum einen klassischen Vespa Roller fahren?
Die Gründe, warum sich Menschen heute dem Vespa Roller annehmen, sind vielfältig. Für die einen ist es eine Erinnerung an die Jugend oder sie wollten schon immer mal eine Vespa besitzen. Die anderen mögen das entschleunigte Fahrgefühl mit einem Vespa Oldtimer. Widerum andere haben sich dem Tuning verschrieben und sind stetig auf der Suche nach Leistung. Dann gibt es das Customising, wo es um auffällige Lackierungen und aufwändige Umbauten geht. Es gibt Sammler, die auf absolute Originalität wert legen und auf der Suche nach seltenen Modellen im unangetasteten Originalzustand sind. Die eine oder andere Beule und ausgeprägte Patina ist kein Problem, authentisch muß es sein. Auch wenn sich die einzelnen Gruppierungen untereinander nicht immer einig sind, wenn es um ihren Lieblingsroller geht, vereint sie die Leidenschaft für die italienischen Zweitakter. Und Leidenschaft braucht man jede Menge, wenn man ein bis zu 70 Jahre altes Fahrzeug auf der Straße bewegen will. Das Fahrgefühl einer alten Vespa ist einmalig und mit dem eines modernen Motorrollers absolut nicht zu vergleichen. Hier geht es aber auch um Herzblut und Liebe zum alten Blech. Da haben Vernunft, ABS und nackte Fahrzeugdaten nichts zu suchen.